Montag, 18. April 2011
biutiful
es schon etwas her ist, dass ich "biutiful" gesehen habe. aber es gab nun mehrere momente, in denen ich nocheinmal daran zurückdenken musste. zum einen habe ich erst kürzlich für mich entdeckt, dass javier bardem in "no country for old men" den killer gespielt hat, und zum anderen waren meine damaligen überlegungen nach dem film ähnlich wie diejenigen zu "the dreamers".
als gutspießbürgerlicher programmkinogänger und allgemeiner kulturmensch fühlt man sich recht abgestoßen von all dem dreck, den muffigen wohnungen, fast glaubt man, irgendwelche fiesen gerüche müssten einem gleich in die feine nase entgegen wabern und der colaklebrige kinosaalboden und die filzigen nachodurchwirkten kinosessel kommen einem unangenehm zu bewusstsein. ich habe mich gefragt, wie kann man so leben? wie können diese chinesischen arbeiter in der kalten fabrikhalle auf der erde schlafen, ohne nach der ersten nacht völlig am ende zu sein? wie überleben die afrikanischen migranten in ihren slumähnlichen höhlenbehausungen rücken an rücken mit ihren nachbarn, mit all dem lärm, den gerüchen und zwischenmenschlichen spannungen?
schlagartig fällt mir auf, wie nahezu unverschämt gut es mir geht, wohlstandsverwöhnt, kriegsfrei aufgewachsen als bis auf zwei monate nachwendegeborene, umgeben von literatur, kultur, politisch interessiert, engagiert, ein luxus-engagement, weil die strukturen in den institutionen vielleicht noch bürokratisch und ungerecht sein mögen, aber nicht himmelschreiend, alles ist nur noch moderat, flau und "eigentlich ganz ok".
was mich aber mehr schockiert hat, als die bilder - "denn das weiß man ja alles schon längst" -, war, dass ich keine unbeschmutzten, völlig verbrauchten, ihrem inhalt gänzlich entleerten, ihrer existentiellen bedeutung beraubten worte finden konnte, um über den film und meine eindrücke zu sprechen. wie kann man da noch von "globalisierung", "migration", "den afrikanern", "den chinesen", "bildungsfernen schichten", "kleinkriminellem milieu" etc. etc. usw. sprechen, ohne gleich das gefühl zu haben, man habe den widerlich pelzigen vermoderten geschmack im mund, wie ihn uxbal nach seiner partynacht, drogen, zigaretten, alkohol (ist ja dasselbe), wenn er seinen sohn, den seine bipolar gestörte frau ("bipolare störung", noch so ein wort) zurückgelassen hat und allein mit ihrer tochter zu deren geburtstag in die pyrenäen gefahren ist, küsst, auf der zunge? und wie abgestoßen muss sich der kleine junge eigentlich fühlen, wenn er am frühen morgen nach einer einsamen ängstlichen nacht von seinem vater angehaucht wird? er freut sich und fühlt sich geborgen, aber mich bergen diese worte nicht, sondern sie verbergen die unfähigkeit auszudrücken, was dieser film mit seinen bildern ausdrückt. wortberge kann man darüber aufhäufen und verschüttet damit den eigenen eindruck. ich hätte mich gerne übergeben, um nur den gedanken an diese möglichen leeren worte loszuwerden, nicht weil mich die story an sich oder die leute darin so abgestoßen hätten.
besonders hat mir die kameraführung gefallen, alles sehr nah und wackelig, ein durchstolpern durch diese sehr verstrickte filmwelt ("komplex!!!", ein ausflüchtendes wort, das zu kaschieren versucht, dass man nicht genauer über etwas nachdenken will oder sich außer stande sieht, dies zu tun). das unterstreicht den eindruck der schicksalhaftigkeit, des taumels durch eine welt, die man sich nicht ausgesucht, die man nicht gemacht und die man wenige aussichtsreiche möglichkeiten zu verändern hat.
ein weiterer großartiger, wenn nicht der beste, punkt, ist der soundtrack von gustavo santaolalla. es gibt momente der stille, die deutlich hörbar werden, aber primär sind es sehr starke, krasse klangbilder und -muster, die nicht im gewöhnlichen sinne "realistisch" sind, aber sich vollkommen in die situationen einfügen bzw. deren atmosphäre und emotionale grundierung erst erzeugen. sie werden oftmals sehr laut, es sind mehr geräusche, die eine eigene innere welt entstehen lassen.
zu diesem "surrealen" element der musik passen auch die "lateinamerikanisch-phantastischen" (label, label,...) elemente und szenen des films: uxbals fähigkeit, die letzten worte der toten zu hören, seine besuche bei der "wahrsager"-frau und seine schmetterlings- oder mottenfantasien.
beeindruckend finde ich auch, die charakterführung und-zeichnung von uxbal, aber auch die der anderen figuren. alle personen wirken sehr vielschichtig und lebendig, mit geschichten und hintergrund. es gab keinen moment, in dem mir ein satz hohl, kitschig oder klischeehaft erschienen wäre. die spannung über einen so langen filmzeitraum aufrecht zu erhalten und eine so real-unübersichtliche welt zu erschaffen, hat mich sehr überzeugt und mitgenommen.
auch wenn es sicherlich viele unterschiede gibt, erschien es mir so, dass alejandro gonzález iñárritu einige wong kar-wai-filme gesehen haben müsste. vor allem habe ich mich an "happy together" erinnert gefühlt. vor allem aufgrund des chinesischen pärchens, aber auch wegen der kameratechnik und der musik.
am ende beschließt der film einen zirkel, an sich nicht sehr originell, aber die szenen werden zum teil aus einer anderen perspektive gezeigt oder durch weitere bilder ergänzt. der alte uxbal ist eigentlich der kleine junge, der junge mann ist sein großvater, den er nie lebend getroffen, sondern nur im leichenschauhaus identifiziert und das einzige mal gesehen hat.
besonders schön - schon zu anfang - finde ich die tote eule im schnee, die in meinen augen immer ein luchs sein wird.
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